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DER STETE TROPFEN HÖHLT DEN STEIN

Seit 2017 nimmt Waterdrop es mit den Giganten der Getränkeindustrie auf. Das Wiener Start-up produziert kleine Drops, um Wasser Geschmack zu geben; so wollen die Gründer nicht nur helfen, ungesunde Getränke zu ersetzen, sondern auch den Getränkemarkt nachhaltiger gestalten. Die Wette scheint aufzugehen: Dieses Jahr macht das Unternehmen von Martin und Henry Murray sowie Christoph Herrmann 100 Mio. € Umsatz – und holte mit Tennisstar Novak Djokovic auch auf der Investorenseite namhafte Unterstützung an Bord.

 

Ende April herrschte am neuen Hauptsitz von Waterdrop in Wien noch Chaos. Arbeiter rannten umher, LKWs fuhren ein und aus, der Boden war staubig – eine einzige Baustelle. Mittlerweile sind die rund 100 Mitarbeiter ins neue Büro übersiedelt. Der Bau steht nahe dem Wiener Hauptbahnhof und revitalisiert die ehemalige Gösserhalle – obwohl nur die alten Backsteinbögen noch an den Vorgängerbau erinnern. All den Platz wird das Start-up aber benötigen: „Wir planen, in nächster Zeit stark zu wachsen“, so Gründer und CEO Martin Murray. Gemeinsam mit seinem Bruder Henry und Christoph Hermann (der als gelernter Architekt auch in der Konstruktion des neuen Headquarters involviert war) gründete er 2016 Waterdrop.

Mit seinem Produkt – kleine, bunte Würfel, die sich in Wasser schnell auflösen – sorgt das Wiener Gründertrio seit einigen Jahren für Aufsehen in der Getränkeindustrie. Die Waterdrops (so heißen auch die Würfel) enthalten nicht nur wenig Zucker, sondern machen vor allem das Abfüllen von Getränken in Plastikflaschen obsolet. Das Produkt komme also den Kunden und der Umwelt zugute, so das Unter- nehmen. Seit Waterdrop 2017 auf den Markt kam, konnte das Start-up über zwei Millionen Onlinekunden und „einige Millionen offline“ akquirieren, wie Martin Murray sagt – über 35 eigene Stores eröffnete Waterdrop seither, die Produkte sind in 20 Ländern (darunter Australien, Singapur und die USA) erhältlich und außerdem alleine im DACH-Raum in 15.000 Einzelhandelsfilialen zu finden. Neben den 140 Angestellten in Wien hat Waterdrop weltweit weitere 200 Mitarbeiter. 2022 schloss das Unternehmen eine Series-B-Finanzierungsrunde in Höhe von 60 Mio. € ab. Bereits vor fünf Jahren prognostizierte Martin Murray, dass sein Unternehmen dieses Jahr rund 100 Mio. € Umsatz schreiben würde – dieses Ziel werden sie komfortabel erreichen, so der CEO heute. Forbes bewertet das Unternehmen deshalb mit rund 600 Mio. €. Ob also alles nach Plan läuft? „Das tut es nie“, antwortet Martin Murray schnell – „von außen sieht immer alles super aus, aber es ist schwierig, eine globale Firma aufzubauen.“

Die drei Wahlwiener (Martin und Henry Murray wurden in Irland geboren, Hermann ist Österreicher) scheinen aber auf dem besten Weg genau dorthin zu sein. Von 2017 bis 2020 wuchs das Unternehmen um insgesamt 300 %, weshalb die Financial Times Waterdrop letztes Jahr zum schnellstwachsenden europäischen Unternehmen im Bereich Food & Beverage krönte. Dass Waterdrop dieses Jahr in über 2.000 Filialen von Walmart, dem größten Einzelhändler der Welt, vertreten sein wird, dürfte der Expansion eher nicht schaden. 2021 schrieb Waterdrop zwar noch rund 20 Mio. € Verlust, was jedoch der raschen Expansion geschuldet ist. Laut den Gründern ist das Unternehmen im DACH-Raum und in CEE (Central and Eastern Europe) zudem bereits profitabel.

Die Mission der drei Gründer ist es, Menschen dazu zu bringen, mehr Wasser zu trinken – und gleichzeitig Plastikflaschen zu einem Ding der Vergangenheit zu machen. „No more Sugarplastic“ lautet der Slogan von Waterdrop in einer neuen Werbekampagne. Dabei mischt das Wiener Unternehmen in einem riesigen Markt mit: Weltweit werden dieses Jahr nicht alkoholische Getränke um rund 1,5 Bio. US-$ verkauft. Die „durstigsten Konsumenten“ sind mit Abstand die US-Amerikaner (2022 gaben sie 447 Mrd. US-$ für nicht alkoholische Drinks aus), gefolgt von den Chinesen (136 Mrd. US-$). Deutschland steht mit 54 Mrd. US-$ auf Platz vier. Noch ist Waterdrop also bloß ein kleiner Tropfen im weiten Meer. Eine bildliche Erinnerung, dass die drei Gründer noch einen weiten Weg zur Erfüllung ihrer Mission vor sich haben, findet sich auf der Baustelle in Wien: Auf ihrem Boden finden sich nämlich zahlreiche leere Plastikflaschen.

Die Idee für Waterdrop kam Martin Murray, als er noch für die Boston Consulting Group (BCG) arbeitete. Auf einem Geschäftsflug war er enttäuscht über die magere Auswahl an Getränken an Bord. „Da dachte ich mir, es muss doch einen besseren Weg geben, um Getränke von A nach B zu transportieren“, erzählt der Gründer, und spielt den Ball geübt seinem Bruder zu, der fortfährt: „Seit gut 70 Jahren hat sich die Getränkeindustrie kaum verändert: Es werden Getränke in Flaschen abgefüllt, die mühsam in Geschäfte transportiert werden, bevor sie vom Konsumenten gekauft werden. Das ist nicht nur teuer, es entsteht dabei auch viel Müll.“ Ihre Idee: ein Produkt, das leicht lieferbar ist und Plastik reduziert.

Das war im Jahr 2015. Die Murrays kündig- ten ihre Jobs und analysierten fast zwei Jahre lang den Getränkemarkt. Sie holten Christoph Hermann an Bord, der gemeinsam mit Döhler (ein deutsches Familienunternehmen und weltweiter Marktführer in der Herstellung von Lebensmittelzusatzstoffen) die mittlerweile unverkennbaren Würfel entwickelte. Aus Frucht- und Pflanzenextrakten wird das Pulver gewon- nen, das später in Würfelform komprimiert wird. „So ist unser Produkt lange haltbar und löst sich trotzdem schnell in Wasser auf“, erklärt Her- mann. Und weiter: „Das braucht zahlreiche Prozesse, an denen wir lange getüftelt haben. Und auch heute drehen wir noch an einzelnen Schrauben, um unsere Drops kontinuierlich zu verbessern.“ Noch immer produziert Waterdrop ausschließlich in Deutschland.

Rund 1,5 Mio. € flossen in die Forschung und Entwicklung der Würfel, bevor 2017 der erste davon auf den Markt kam. Durch das kompakte Format hat das Wiener Unternehmen einen klaren Kostenvorteil gegenüber anderen Getränkeherstellern – eine Packung wiegt an die 25 Gramm und beinhaltet Waterdrops für zwölf Getränke. Es ist unschwer zu erkennen, dass es leichter ist, ein solches Päckchen zu verschicken als zwölf Halbliterflaschen. Somit eignet sich das Produkt ideal für den Onlinehandel, was auch erklärt, warum Waterdrop 70 % seiner Umsätze online erzielt.

Nach dem Launch vor sechs Jahren dauerte es nicht lange, bis das österreichische Unternehmen ins Ausland expandierte und bald in fast allen Ländern Europas erhältlich war. 2021 folgte der Eintritt in den US-amerikanischen Markt (anfangs nur über Onlineverkäufe); ein Jahr später mit dem Launch in Singapur auch jener in den asiatischen. Seit Februar dieses Jahres sind die Drops auch in Australien erhältlich. Neben den Würfeln gibt es außerdem auch Flaschen und Trinkgeschirr von Waterdrop, denn, so Hermann: „Wir wollen unsere Kunden während des ganzen Trinkprozesses unterstützen und ein Hydration- Ökosystem erschaffen.“ Etwas mehr als 20 % ihres Umsatzes macht die Firma mittlerweile mit „Drinkware“.

Dass einer der Gründer aus dem Designbereich kommt, mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, verdeutlicht aber die Philosophie von Waterdrop. „Uns war immer klar: Wenn wir eine eigene Firma aufbauen, dann soll es ein Apple werden“, so Martin Murray. Der Vergleich mit dem wertvollsten Unternehmen der Welt fällt im Gespräch häufig – genau wie in Cupertino legt man in Wien großen Wert auf Produktdesign. „Wir wollten von Anfang an ein schönes Produkt entwerfen, das auch ein gutes Kundenerlebnis mit sich bringt“, so Martin Murray. Wieder übernimmt Bruder Henry nahtlos: „Natürlich sind gute Umsatzzahlen wichtig. Langfristig ist aber essenziell, dass unser Net Promoter Score (eine Kennzahl, die die Zufriedenheit, Treue und Bindung von Kunden abbildet, Anm.) passt und unsere Marke gesund ist. Nur so können wir langfristig und nachhaltig wachsen.“



Waterdrop setzte, ebenfalls wie Apple, schon früh auf starkes Marketing. Mit Social- Media-Werbung „ging die Marke schnell viral“, wie Martin Murray sagt. Pop-up-Stores und eine frühzeitige Partnerschaft mit dem Drogeriemarkt Bipa sorgten für zusätzliche Visibilität. Mittlerweile sponsert Waterdrop aber auch globale Events, etwa als globaler Partner der ATP Tour (Herren-Tennisserie) oder das Skirennen am Hahnenkamm in Kitzbühel. Henry Murray: „Onlinemarketing ist super, damit kann man viel machen. Aber irgendwann ist eine Marke so groß, dass man auch andere Formen von Marketing betreiben muss, um neue Kunden zu erreichen.“ Zu Jahresbeginn sorgte sein Unternehmen für Aufsehen, als Tennisstar Novak Djokovic nicht nur Markenbotschafter, sondern auch Investor (Djokovic hält 0,8 % der Unternehmensanteile) wurde. Die Medien nahmen die Neuigkeiten gemischt auf, sorgte Djokovic doch während der Coronapandemie mehrmals für Negativschlagzeilen. Doch Martin Murray gibt sich gelassen: „Wir sind sehr froh über die Partnerschaft. Djokovic und wir haben das gleiche Ziel: den Tennissport gesünder und nachhaltiger zu machen.“ Da die Spieler bei den Turnieren oft auch beim Trinken gezeigt werden, eignet sich der Sport für eine Marke wie Waterdrop ideal.

Trotz ihres bisherigen Erfolgs sind die drei Gründer noch lange nicht fertig. „Wir sind zurzeit in 20 von 195 Ländern auf der Erde erhältlich – 175 fehlen also noch“, sagt Martin Murray nur halb im Scherz, bevor er fortfährt: „In den USA haben wir gerade erst so richtig begonnen, in Kanada und Mexiko gibt es uns noch gar nicht.“ Und auch in Südamerika, Asien, dem Nahen Osten und Nordafrika – also eigentlich überall – sieht er großes Potenzial, bremst sich jedoch selbst wieder ein: „Wir können nicht alles auf einmal machen. Jetzt konzentrieren wir uns auf Europa, eine erfolgreiche Expansion in den USA und machen erste Gehversuche in Asien.“ Auf die Frage, ob Waterdrop auch in Ländern funktioniere, in denen das Leitungswasser nicht trinkbar ist, verweist der CEO auf die Marke Lucy, unter der das Hydration-Start-up Wasserfilter für seine Flaschen und Karaffen verkauft. Doch Martin Murray gibt zu: „Natürlich gibt es auch Märkte, in denen die Wasserqualität wirklich bedenklich ist. Grundsätzlich wollen wir uns dort auch etablieren, aber es wird wohl länger dauern.“

„Wir sind zurzeit in 20 von 195 Ländern auf der Erde erhältlich – 175 fehlen also noch!“

Martin Murray, CEO

Ihre Pläne quantifizieren die Gründer nur ungern – es braucht einiges an Nachhaken, bis sie Zahlen verraten. Bis Ende des Jahres sind ihre Produkte an 30.000 Standorten in 20 Ländern zu finden, 2025 soll die Milliardengrenze in Bezug auf verkaufte Drops geknackt werden – und das Unternehmen 250 Mio. US-$ Umsatz schreiben. „Das ist schon relativ global für österreichische Verhältnisse“, so Henry Murray. Die Gründer halten gemeinsam rund 27,5 % der Anteile, wobei Martin Murray den Löwenanteil davon besitzt.

Vor einigen Wochen schien es noch fast unmöglich, doch heute steht in der Gösserhalle ein modernes Büro. Feierlich wurde es Anfang Juli eröffnet. Und Henry Murray lädt ein: „Schaut auf einen Besuch vorbei, Drinks on us!”

 

Text: Erik Fleischmann
Fotos: Katharina Gossow
Infografik: Valentin Berger, Emin Hamdi

Forbes Editors

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