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„Medizin darf kein Privileg sein“

Fehlendes Personal, Wertschöpfungsketten, die unter Druck geraten – und Schwächen in der Digitalisierung: Das Gesundheitssystem kämpft mit großen Problemen. Christian und Florian Brandstetter, ein Vater-Sohn-Duo aus Wien, sehen das als Chance: Mit Teledoc wollen die beiden zum führenden Telemedizin-Anbieter in Zentral- und Osteuropa werden.

 

Insgesamt 50,8 Mrd. € flossen 2022 in Österreichs Gesundheitswesen. Das sind satte 11,4 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dennoch warnen Experten vor einer nachhaltigen wirtschaftlichen und personellen Überlastung des Gesundheitssektors. Florian Brandstetter, Gründer des E-Health-Start-ups Teledoc, sieht einen Ausweg: Telemedizin. Darunter versteht man die Bereitstellung von Leistungen des Gesundheitswesens durch Informations- und Kommunikationstechnologie, wodurch kostenschonende und personaleffiziente Leistungen ermöglicht werden. Denn Brandstetter verfolgt ein klares Motto: „Medizin darf kein Privileg sein.“

Neben Erleichterungen für die Patienten soll Telemedizin vor allem die Aufenthaltszeit in Krankenhäusern und Arztpraxen reduzieren. Das würde wiederum dazu führen, dass medizinische Betriebe ressourcenschonender arbeiten können und sich auf jene fokussieren, die die Hilfe vor Ort wirklich benötigen.

Die Idee ist nicht neu, nahm durch Covid aber so richtig Tempo auf. Denn die Gefahr, sich mit einem Virus zu infizieren, war gerade in Arztpraxen groß. Und da sich viele Symptome auch via Videocall, Telefon oder Chat abklären lassen, fragten Patienten solche Möglichkeiten verstärkt nach. Auch bei Teledoc: Bis zu 5.000 Anrufe erreichten das Unternehmen zu Beginn der Pandemie pro Woche, heute nutzen 50.000 Menschen in Zentral- und Südosteuropa die App von Teledoc. Genutzt wird die Web-Applikation von Teledoc, ohne dass sich Arzt und Patient dabei am selben Ort befinden müssen. Diagnoseberichte und Privatrezepte können bereits online ausgestellt werden, wodurch bürokratische Hürden rund um den Arztbesuch abgebaut wurden. Auf der Smartphone-App können Gesundheitsdaten und Dokumente gespeichert werden, sodass der Patient und gegebenenfalls auch der Arzt jederzeit Zugriff auf diese haben. Nutzer zahlen für den Zugang eine geringe Gebühr.

Eine Herausforderung, die das heute 17-köpfige Team bald lösen musste, war das Thema Regulierung. Denn Telemedizin war lange Zeit rechtlich nicht geregelt, aufgrund des Austauschs sensibler und personenbezogener Daten in der Medizinbranche sind bindende Regeln heikel. Auch deshalb war das erste Land, in dem Teledoc startete, Albanien. „Unseren ersten Anruf hatten wir am 6. Juni 2019, an das kann ich mich noch genau erinnern“, sagt Brandstetter heute. Obwohl der Standort in Albanien letztendlich geschlossen werden musste, lief die Expansion gut: Neben Österreich ist Teledoc heute in sieben Ländern vertreten, darunter Kroatien, Bulgarien und Mazedonien. In jedem Land, in dem die Videokonsultation angeboten wird, muss aufgrund der rechtlichen Lage ein eigenes Ärzteteam arbeiten, das nicht nur die Nationalsprache beherrscht, sondern auch möglichst viele der Sprachen, in denen Teledoc Videocalls anbietet. Manche Länder fordern zudem die Kooperationen mit nationalen Kliniken oder anderen medizinischen Einrichtungen, damit Telemedizin überhaupt durchgeführt werden darf, was wiederum einen enormen finanziellen Aufwand darstellt.

Brandstetter begab sich daher schon früh auf die Suche nach externem Kapital: „Während der Pandemie haben wir einen Investor an Bord bekommen, mit dem wir neun Monate verhandelt haben.“ Als Kapitalgeber haben bis heute die BlueRock Capital GmbH sowie die Viveca GmbH (eine Beteiligungsfirma der Vienna Insurance Group) investiert. 5,6 Mio. € flossen bisher insgesamt von Investoren ins Unternehmen. Dennoch sind Florian Brandstetter und sein Vater weiterhin bestimmend: „Das Unternehmen ist immer noch zu über 50 % in meiner Hand und der meines Vaters“, so der Mitgründer. Eine für 2022 geplante Finanzierungsrunde verschob das Gründerteam aufgrund der wirtschaftlichen Großwetterlage.

 

Zusammen mit seinem Vater Christian will Florian Brandstetter der führende Telemedizin-Anbieter in Europa werden.

In der Zwischenzeit gab es zudem einen kleinen Pivot, also eine Richtungsänderung in Sachen Geschäftsmodell: „Wir haben gemerkt, dass es kompliziert ist, den Patienten direkt in die Bezahlung seiner medizinischen Dienstleistung einzubinden.“ Daher arbeitet Teledoc mittlerweile vorrangig über Dritte, um die Videokonsultationen in Versicherungen einzubinden. Dadurch geht das Modell auch schrittweise von B2C zu B2B, da Teledoc nicht mehr direkt den Endkunden anspricht, sondern große Versicherungsanbieter. Viele Unternehmen nutzen bereits den Service von Teledoc als Benefit für ihre Mitarbeiter.

Neben einigen Mitbewerbern, etwa Teleclinic in Deutschland, ist vor allem die Skepsis in der Bevölkerung ein Thema für Brandstetter. Bei vielen Patienten und Ärzten bestehen nämlich Bedenken bezüglich des Erfolgs, aber auch der rechtlichen Lage von Telemedizin. Brandstetter sagt, dass dem durch Kampagnen aus der Privatwirtschaft und von staatlicher Seite entgegengewirkt werden sollte. Ein weiteres Problem für E-Health-Unternehmen in Österreich ist die Abrechnung von Rezepten mit dem Sozialversicherungsträger.

Doch die Chancen für Teledocs Erfolg scheinen durchaus gegeben zu sein, denn Brandstetter plant Großes: Demnächst sollen Deutschland, Polen und die Türkei als Standorte erschlossen werden. Doch zunächst fokussiert man sich auf die Stabilisierung der bestehenden Absatzmärkte: „Unser Ziel ist es, bis Ende des Jahres überall break-even zu sein“, meint Brandstetter. Auch an technischen Erweiterungen der Videokonsultation und der Website wird gearbeitet; zukünftig soll ein KI-Chatbot eingesetzt werden, um zu klären, welcher Arzt für das jeweilige Problem der richtige Ansprechpartner ist. Außerdem wollen Brandstetter und sein Vater auch in den Lifestyle-Sektor einsteigen – und zwar mit Kits zur Testung verschiedener Blutwerte.

„Wir wollen eine medizinische Gesamtlösung sein, deshalb versuchen wir, Mehrwert für alle zu schaffen“, meint Florian Brandstetter auf die abschließende Interviewfrage bezüglich der Vision von Teledoc.

 

Elena Kappel

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