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NO ONE TRICK PONY

Sophie Chung hat ein Start-up gegründet, das Patienten bei der weltweiten Arztsuche hilft. Seit der Gründung hat Chung das Produktportfolio erweitert und kann inzwischen mehr als nur eine Marktseite bedienen – und so wenig ihr Unternehmen ein One Trick Pony ist, ist auch Chung selbst keines.

 

Sophie Chung ist in ihrem Büro in Berlin und nimmt sich fast eine Stunde Zeit für das Gespräch mit Forbes DA. Sie sitzt vor einem Ikea-Würfelregal mit einem unausgepackten Paket und ein paar Tassen, daneben eine kahle weisse Wand. Obwohl die Unternehmerin in Berlin lebt und arbeitet und ein Healthtech-Unternehmen gegründet hat, ist hier nichts vom hippen Start-up-Spirit zu spüren; alles wirkt unaufgesetztund funktional. Chung ist energisch und doch konzentriert – wenn sie redet, ist zu spüren, dass sie leidenschaftlich in allem, was sie tut, ist. Das sieht man nicht nur am Erfolg und Wachstum ihres 2016 gegründeten Unternehmens, das hört man auch, wenn sie spricht: schnell und eloquent, dabei viel gestikulierend. Chung wirkt, als müsste sie jede Sekunde überschäumen. Entscheidungen zu treffen fällt ihr schwer, sie will am liebsten alles machen. „Ich habe auch drei Studienrichtungen gehabt, habe mehrere Instrumente gespielt; wenn ich einkaufen gehe und mir gefallen zwei Paar Schuhe, dann kaufe ich immer beide. Wenn ich ins Restaurant gehe, dann bestelle ich auch immer zwei Sachen“, erzählt Chung.

Auch in ihrem beruflichen Leben schlägt ihr Herz für zwei Dinge gleichzeitig: die Medizin und das Unternehmertum. Sie ist studierte Medizinerin und hat gleich nach dem Studium auch als Ärztin praktiziert, stieg aber 2008 bei der Unternehmensberatung McKinsey ein und arbeitete hauptsächlich als Beraterin für den Healthcare-Bereich. Danach arbeitete Chung bei der New Yorker Onlineplattform und App Zocdoc (wir haben darüber berichtet) – hier können Patienten Ärzte suchen und bewerten und Termine aus-machen. In diesem Zwischenraum, an der Schnittstelle von Medizin und Tech-Unternehmen, fühlte sie sich wohl und gründete 2016 das eigene Digital-Health-Unternehmen Qunomedical. Das Start-up bietet zwei Dienstleistungen im Gesundheitsbereich an: eine für Patienten, die andere für Kliniken. Qunomedical ist eine Software und hilft Patienten bei der Arztsuche in über 25 Ländern, Qunosuite ist eine Software, die Kliniken im Patientenmanagement nutzen können.

Qunomedical sitzt in Berlin und beschäftigt inzwischen 70 Mitarbeiter. Umsätze gibt das Unternehmen nicht bekannt, nur so viel: Bis jetzt werden mit dem B2B-Produkt Qunosuite bereits mehr als 120.000 Patienten betreut. Zu den Investoren gehören Bertelsmann Investments und Dieter von Holtzbrinck Ventures. Das Start-up hat Ende 2022 die Series A in Höhe von zehn Mio. € verkündet.

Qunomedical will ein Problem in der medizinischen Versorgung lösen, nämlich das der Arztwahl. Die Lösung sieht so aus: Ein Patient braucht eine Operation; er meldet sich bei Chung und ihrem Team. Die wollen erst einmal wissen: Was ist los? Gibt es Befunde und Diagnosen? Wie dringend ist die Behandlung? Basierend auf dieser Einschätzung macht Qunomedical dann Vorschläge. „Wir suchen nicht für den Patienten aus, sondern wir priorisieren basierend auf den Kriterien, die für den Patienten wichtig sind“, so Chung. Das sei eine ganz wichtige Unterscheidung – dass Qunomedical nicht sagt: „Hier, das ist die Lösung!“ Chung: „Am Ende entscheidet immer der Patient.“ Dabei bezieht Qunomedical auch Budget, Zeit und Mobilität des Patienten mit ein. Wenn dann ein Termin gefunden ist, übergibt Chungs Team an den Arzt oder die Klinik. Manchmal übernimmt Qunomedical danach wieder, für Nachsorgetermine oder wenn es Fragen gibt.

Bezahlt wird das Unternehmen dabei von Krankenhäusern und Kliniken – allerdings nicht in Form einer Provision, denn das würde verhindern, dass Qunomedical im Interesse des Patienten handelt. Aber die Rechnung tragen auch nicht die Patienten. Chung: „Unser Prinzip ist, dass wir die Patienten nicht noch einmal zur Kasse bitten, zusätzlich zu dem, was sie eh schon alles ins Gesundheitssystem einzahlen.“ Die Krankenhäuser, die kommerziell und monetär profitieren, von denen bekommt das Start Up Gebühren für die Verwaltung, die es übernimmt; auch die Dokumentation durch die grösstenteils digitale Abwicklung. „Dadurch, dass wir das machen, landet ja weniger administrative Arbeit bei den Krankenhäusern und bei den Ärzten“, sagt Chung.

Chung und ihr Team haben neben dem Arztwahl-Tool auch ein weiteres Werkzeug geschaffen, für die Kliniken: Die B2B-Lösung Qunosuite soll Gesundheitsdienstleister in die Lage versetzen, den menschlichen Kontakt dort zu maximieren, wo er wichtig ist, und Technologie dort ein-zusetzen, wo sie eine bessere Erfahrung für Patienten ermöglicht – sprich: automatisierte Kommunikation und Dokumentation mit der Option auf menschliche Interaktion. Qunomedical argumentiert: 70 % der Patienten nutzen das Internet, um Ärzte und Behandlungen zu finden, also spielt Qunomedical genau dort hinein. Mit ihrer Vision für das Gesundheitswesen bricht Chung mit der klassischen Perspektive in der deutschsprachigen Region: „Im Gesundheitssystem hierzulande wird immer in dem Sinn diskutiert, dass eine Lösung entweder profitabel und total wirtschaftlich ist oder gut für den Patienten. In Österreich darf alles nicht in privater Hand sein und Krankenhäuser dürfen nicht profitabel sein, weil das ist ja böse. Ich bin komplett anderer Meinung.“

Dieser Gedanke klingt rebellisch, vor allem, wenn er von einer Medizinerin wie Chung kommt. Aber sie ist eben auch Unternehmerin. Bevor sie gründete, machte sie Station in New York, beim Gesundheitsdienstleister Zocdoc, der über eine App freie Termine bei Ärzten anbietet. Ihr Motto für ihr Start-up im Gesundheitssystem ist: „Win, win, win.“ Gemeint ist damit: Qunomedical profitiert unternehmerisch, „wir kreieren aber auch ein besseres Erlebnis für Patienten – und weil unser Ansatz effizienter und transparenter ist, profitieren auch die Krankenhäuser.“

Happy patients, happy hospitals – das sei ihr Motto. Chungs Unternehmen erinnert in der doppelt ausgerichteten Struktur ein bisschen an sie selbst; auch sie vereint scheinbare Gegensätze, schon immer. Dieses Gestaltwandeln ist aber nicht nur Persönlichkeit, es ist Strategie. Chung will immer in Bewegung bleiben. „Ich bin ja in den 1980er-Jahren in Linz aufgewachsen, bin meist die Einzige gewesen, die nicht weiss war und anders ausgesehen hat. Man wird da sehr schnell in Schubladen gesteckt, ob man will oder nicht.“ Chung aber klettert von Schublade zu Schublade; von ihren Eltern bekommt sie mit, dass alles möglich ist, solange man hart arbeitet. „Ich finde, wir haben alle in unserem Leben vulnerable Momente, und da muss halt die richtige Person da sein – Leute, die einem das Richtige sagen oder einen in die richtige Richtung schubsen. Das hat auch mit viel Glück und Zufall zu tun, und natürlich auch mit dem Elternhaus“, so Chung.

Inzwischen ist Sophie Chung selbst Elternhaus – für ihre dreijährige Tochter. Auch in diese Aufgabe steckt die Medizinerin und Unternehmerin besonders viel Energie, um die Rolle möglichst gut auszufüllen. „Ich bin ja auch ein Nerd, und deswegen habe ich mich in das Thema Neurowissenschaft und kindliche Entwicklung eingelesen. So macht man sich aber eigentlich auch total verrückt.“ Das Wichtigste aber, sagt sie, was man seinen Kindern und vor allem seinen Töchtern mitgeben könne, sei, „geerdet zu sein und dieses Selbstbewusstsein zu haben – dieses ‚Ich weiss, wer ich bin!“

 

Text: Sophie Schimansky
Fotos: Holger Talinski

Forbes Editors

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